Das Symposium "Reality Check – who is afraid of master of arts?", am 13. bis 15. Juli 2006 in Kooperation mit der Akademie für Bildende Künste der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, widmete sich der Ausbildung von Künstler*innen an europäischen Kunsthochschulen.

Einem Thema, das vor dem Hintergrund der geforderten Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen derzeit intensiv diskutiert wird.

Der Utopie eines offenen europäischen Bildungs- und Forschungsraumes stehen Befürchtungen einer Bürokratisierung und Ökonomisierung der Künstler*innen-Ausbildung entgegen. Zugleich erscheint jedoch auch die traditionelle Struktur des Kunststudiums - insbesondere in Deutschland - mit seiner personalisierten Lehre in Meisterklassen als nicht mehr zeitgemäß. Zwar gehören Künstler*innen aus deutschen Kunsthochschulen zu den erfolgreichsten des internationalen Kunstbetriebs. Nur ein sehr geringer Anteil der Absolvent*innen partizipiert jedoch an diesem Markt. Der weitaus größere Teil erprobt unter meist prekären wirtschaftlichen Verhältnissen neue Formen zeitgenössischer künstlerischer Praxis, deren Ergebnis sich eher als kulturelle Wissensproduktion denn als Produktion warenförmiger Kunstobjekte beschreiben ließe. Projektarbeit und kooperative Arbeitsformen kreieren hybride Künstlerkarrieren, die das traditionelle Künstler*innen-Bild abzulösen scheinen.

Die unterschiedlichen Sichtweisen von Akteur*innen des internationalen Kunst- und Lehrbetriebs auf dieses Thema wurden im Rahmen des Symposiums exemplarisch verdeutlicht. Darüber hinaus war uns wichtig, zu zeigen, wie die Debatte im Spannungsfeld der vielfältigen Diskurse von Künstler*innen außerhalb der Hochschulen wahrgenommen und geführt wird und wie sie im Rahmen der aktuellen künstlerischen und kuratorischen Praxis reflektiert wird

Mit der Redeperformance RLTY CHCK begrüßten wir die Referent*innen und Gäste und eröffneten die Tagung. Entlang einer Sammlung von Zitaten und Textfragmenten zum Thema Kunsthochschule führten wir in unsere Fragestellungen ein. Ausgangspunkt unserer Analyse war die offizielle gemeinsame Erklärung der Rektorenkonferenz der Kunsthochschulen der Bundesrepublik Deutschland vom 18. Mai 2006 zum Bologna-Prozess.

Bologna-Prozess

"Das deutsche Kunsthochschulsystem, das zu den erfolgreichsten der Welt gehört, ist durch Aspekte des Bologna-Prozesses in seiner Substanz bedroht. Gerade wegen der Ziele des Bologna-Prozesses müssen die Bundesländer den Sonderstatus für die Kunsthochschulen aufrechterhalten bzw. aktiv vorantreiben. Nur so ist auch künftig die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Kunsthochschulen und eine qualitätvolle Weiterentwicklung künstlerischer Ausbildung gewährleistet."

An diesem Statement wurden die zentralen Begriffe der aktuellen Kunsthochschuldebatte, wie Sonderstatus, Substanz, Bildung und Ausbildung, Mobilität, Wettbewerb, Erfolg, Qualität etc. exemplifiziert und in einen diskursiven Rahmen gestellt.

Die Beiträge und Diskussionsrunden der beiden darauf folgenden Tage boten Gelegenheit, sich unter dem Titel "Reality Check – who is afraid of master of arts?" über Lehrerfahrungen und Umstrukturierungsprozesse im europäischen Vergleich umfassend zu informieren und mit der Frage »Where do we come from, where do we go?« das gewandelte Künstler*innen-Bild und Fragen zu kultureller Produktion und Ökonomie zu erörtern.

Reality Check - who is afraid of master of arts?

Mit ihrer gemeinsamen Erklärung distanzierte sich die Rektorenkonferenz der Kunsthochschulen der Bundesrepublik Deutschland von den durch das Bologna-Protokoll geforderten Modifizierungen des Kunststudiums. Dieses sieht vor, das Kunststudium europaweit nach dem angelsächsischen Modell in Bachelor- und Masterstudiengänge zu gliedern und die Lehrinhalte zu modularisieren. Ziel ist ein gemeinsamer europäischer Hochschulraum mit vergleichbaren Studienabschlüssen.

Karin Stempel, Rektorin der Kunsthochschule Kassel und derzeit Sprecherin dieser Konferenz, erklärte, dass die deutschen Kunsthochschulen die Zweistufigkeit des Studiums im Fach Freie Kunst und die Modularisierung der Lehrinhalte ablehnen. Der Erfolg der Künstler*innenausbildung in Deutschland sei das beste Argument, das bisherige Ausbildungssystem beizubehalten. Viele der erfolgreichsten Protagonist*innen des internationalen Kunstbetriebs seien Absolvent*innen deutscher Kunsthochschulen. Außerdem seien deutsche Kunsthochschulen mit ihrem hohen Anteil von ausländischen Studierenden seit jeher international ausgerichtet, und es bestehe in dieser Hinsicht folglich kein Reformbedarf.

Der von oben verordnete Diskurs im Rahmen des Bologna-Prozesses sei auf die Ausbildung an deutschen Kunsthochschulen nicht anwendbar, vielmehr gefährde er substantiell deren Qualität, die gerade in der Unterschiedlichkeit und spezifischen Tradition jeder einzelnen Kunsthochschule begründet liege. Die deutschen Kunsthochschulen würden Reformen nicht grundsätzlich ablehnen, jedoch müssten diese aus den Hochschulen selbst kommen.

Für Klaus Jung, Head of School of Fine Art an der Glasgow School of Arts und davor viele Jahre in Norwegen tätig, machen in sich abgeschlossene Studienportionen im Sinne von Bachelor und Master gerade dann Sinn, wenn sich die Kunsthochschulen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen und sich "für mehr öffnen, als ausschließlich für den einsamen Weg zum Künstlererfolg". Jung diagnostizierte den Trend "bachelor at home, master abroad". Die damit einhergehende Mobilität der Studierenden fördere auch die kulturelle Vielfalt.

Katharina Schmidt, die an der École supérieure des beaux-arts in Toulouse lehrt, stellte die Vor- und Nachteile des französischen Systems vor. Interessant sei, dass dort trotz eines wesentlich durchorganisierten, verschulten Studiums Studierende sehr früh in der Lage seien, eigene künstlerische Positionen zu entwickeln. Jüngere Professor*innen und die Möglichkeit, auf einen Pool von verschiedenen Lehrenden zurückgreifen zu können, stünden im Gegensatz zu der weitgehend auf eine einzige Künstlerpersönlichkeit fixierten Lehre in Deutschland.

Stephan Schmidt-Wulffen, Rektor der Akademie der bildenden Künste in Wien, vertrat eine offensive Auseinandersetzung mit dem Bologna-Prozess und die Einführung eines zweistufigen Kunststudiums. Dabei setzt er auf die Stärkung der künstlerischen Forschung ("forschende Kunstakademie") sowie die Aufnahme von Theorie in die Curricula der Kunsthochschulen. Auch Schmidt-Wulffen betonte, dass sich das an den Kunsthochschulen noch vielfach gepflegte humanistische Ideal "Lernen durch über die Schulter schauen" überlebt habe. Teamarbeit und eine intensive Betreuung müssten an dessen Stelle treten. Zudem müsse klar definiert werden, was Studierende nach drei Jahren Studium wissen und können sollen. Dem traditionellen Ausstellungssystem alternative künstlerische Tätigkeitsfelder gegenüber zu stellen, sei ein weiteres Ziel.

Where do we come from, where do we go?

Für Stephan Dillemuth von der Akademie der Bildenden Künste in München sind die Hochschulreform-Debatten Scheingefechte, solange der Blick auf die dahinter stehenden Interessen verborgen bleibt. Auch wenn angesichts eines überholten Kunstverständnisses an vielen Akademien ein Erneuerungsbedarf durchaus gegeben sei, biete der Bologna-Prozess dafür keine Perspektiven. Vielmehr leiste dieser Prozess einer Ökonomisierung Vorschub. Konzerne haben Dillemuths Ansicht nach ein massives Interesse, die Reform der Hochschulen zu steuern. So wurde auf Initiative des Bertelsmann-Unternehmens das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) gegründet, das dazu beitragen soll, Ausbildungsinhalte und Hochschulstrukturen im Sinne eigener Interessen unter dem Deckmantel einer durch Bachelor- und Master-Studium gewährleisteten vermeintlichen Kompatibilität zu beeinflussen.

Die in München lebende Wiener Künstlerin Uli Aigner setzt mit ihrer Arbeit "GhostAkademie", die während des Symposiums zu sehen war, den Machtstrukturen an den Hochschulen das Gegenmodell einer Lehre entgegen, die gleichzeitig künstlerische Praxis ist. Das Projekt ist rund um Studierende der Münchner Akademie der Bildenden Künste aufgebaut. Aus den Arbeiten der Künstler*innen werden mögliche Lehrinhalte kondensiert und so genannte Lehrkanzeln gegründet. Der daraus resultierende "Lehrbetrieb" wird in Form von Video-Lectures aufgenommen und präsentiert. "GhostAkademie" versteht sich als Gesprächsangebot und Austausch mit allen Studierenden im Windschatten der Akademie, aber abseits der dort etablierten Hierarchien.

Die Künstlerin Ariane Müller (Berlin/Wien) stellte mit einem literarischen Vortrag die Biografien einiger befreundeter Künstler*innen vor. Es wurde deutlich, welch hohen Stellenwert Erfahrungen und künstlerischer Austausch im nichtinstitutionellen Bereich für den Werdegang von Künstler*innen haben. Vor diesem Hintergrund verwies Ariane Müller auf die wichtige Rolle der "non allied academies" als unabhängige Lehreinrichtungen außerhalb der klassischen Hochschul- bzw. Akademiennetzwerke. Sie vertrat die Ansicht, dass sich die Akademie ihrer Aufgabe bewusst werden müsse, bildend in die Gesellschaft hinein zu wirken. Eine Kunstakademie dürfe nicht allein nach innen gerichtet arbeiten, gleichsam als "Sorgesystem" für die Studierenden, sondern habe diese Verantwortung der Gesellschaft gegenüber.

Von annette hollywood, Barbara Wille (Projektleiterinnen) und Thomas Weis (IGBK Geschäftsführung)

Die Tagungsdokumentation mit Beiträgen von Uli Aigner (München/Wien), Leonie Baumann (Berlin), Doris Berger/Moira Zoitl (Berlin), Stephan Dillemuth (München), Thomas Erdelmeier (Frankfurt a.M.), Klaus Jung (Glasgow), Verena Kuni (Frankfurt a.M.), Michel Métayer (Toulouse), Thomas Müllenbach (Zürich), Ariane Müller (Berlin/Wien), Katharina Schmidt (Toulouse/Berlin), Stephan Schmidt-Wulffen (Wien), Karin Stempel (Kassel), Winfried Virnich (Mainz) kann bei der IGBK oder über den Buchhandel bestellt werden.